DIe Lehrer-Challenge

Manuskriptauszug

Haupt und Nebendarsteller – wer ist wer

 

„Aber ich bin doch der Lehrer, also der Chef im Unterricht und Chefs bestimmen, wo es lang geht. Wenn ich mich zurücknehme, tanzen die mir doch auf der Nase rum. Die Schüler denken dann doch, dass ich Angst vor Ihnen habe, kein Durchsetzungsvermögen besitze. Dann habe ich in der Klasse verloren, und das will ich nicht. Ich muss doch überleben.“

Das ist nur eine kleine Auswahl an Aussagen zur beruflichen Überlebensstrategie von uns Lehrkräften.

 

Sie sehen unser „täglicher Fronteinsatz“ macht uns Angst. Selbst ein Remis schreckt uns ab, da wir diese Situation mit “Versagt haben“ gleichsetzen. Ich denke, dass viele meiner Kollegen, primär die älteren, die Sitzaufteilung im Klassenzimmer an ein „Erschießungskommando“ erinnert und deshalb verstärkt nach Überlebensstrategien suchen und diese gierig ergreifen. Egal wie Sie den Raum aufteilen, Sie gehören nicht zu den Schülern. Sie bleiben immer die Lehrkraft, was aber nicht negativ gesehen werden muss.

Ich habe gerne das Fischgrätenmuster bevorzugt, wurde aber dabei häufig von meinen KollegenInnen ausgebremst, die in ihrem Unterricht sofort die alte für sie gewohnte Sitzordnung des Hufeisens wieder einführten. Und irgendwann hatte ich keine Lust mehr, dauernd die mir angenehmere Sitzordnung wieder herzustellen. Die Hufeisenfetischisten hatten mich mit ihrer infantilen Angst besiegt, womit ich aber leben konnte.

 

Keine Bange, egal welche Sitzordnung Sie im Klassenraum vorfinden, die Schüler wissen doch wer Sie sind, welche Rolle Sie zu spielen haben - die der Lehrkraft. Und somit sind Sie automatisch in der Vorgesetztenposition. Niemals sind Sie ein gleicher unter gleichen!

 

Mit dieser Erkenntnis überleben Sie doch locker und befreien sich von dem Druck, dauernd den Vorgesetzten raushängen lassen zu müssen. Befreien Sie Ihre Schüler vom Vorgesetztendruck. Manipulieren, im Sinne von lenken, Sie ihre Banausen behutsam und weitestgehend latent. Ich setze mich gerne zwischen meine SchülerInnen und schnacke mit ihnen – nicht immer erfolgreich, da manch eine/r die räumliche Distanz zum „Vorgesetzten“ benötigt, um befreit atmen zu können. Dann verziehe ich mich entweder wieder fix nach vorne oder setzte mich zu anderen Schülern. Dafür eignet sich das Fischgrätenmuster aber auch die uns so vertraute „Schlachtordnung“ des Hufeisens, denn an dessen hinteren Ecken können Sie je einen Platz frei lassen - reserviert als Ihre persönlichen Schnackerplätze. Sehr oft reduziert diese Strategie das Eskalationspotential auf ein Minimum und Ihre Schüler fühlen sich von Ihnen besser verstanden und akzeptierter.

 

Diese integrative Strategie heißt jedoch nicht, dass Sie Ihre Schüler nicht formen, nicht begleitend zum gewünschten Unterrichtsergebnis führen sollen. Wälzen Sie Ihre Aufgabe nicht auf Ihre Schüler ab, dafür sind diese zu jung und zu unerfahren. Egal welche Sitzordnung Sie bevorzugen – egal wo Sie im Klassenraum sitzen – Sie bleiben die leitende Lehrkraft.

 

Und somit besteht immer die natürliche Hackordnung, wollte sagen „Grenze“.

 

Ich bevorzuge stets die grüne Grenze, also die, mit der wir Pädagogen bestens leben können. Sprich die imaginäre Grenze im Klassenzimmer zwischen den SchülerInnen und mir, locker zu überschreiten, ohne, dass ich mich fremd fühle.

 

Aber liege ich damit richtig? Bin ich noch voll im Trend – oder hat mich der „Grenzer“ locker überholt und ich hab es verschlafen. Tja … und dann?

 

Grenzen müssen sein, und tralala … kennen wir doch alle aus der Erziehungswissenschaft der letzten Jahre und leider auch aus unserem Europa. Ich könnte ja auch sagen, „kaum sind die innereuropäischen Grenzen weg, benötigen wir Ersatzgrenzen. Grenzenlose Grenzwünsche im eingegrenzten Erwachsenenhirn. Na, wenn dieses Geschreibsel mal nicht zu grenzwertig ist. Während ich dieses Kapitel schreibe, weile ich gerade im süddeutschen Raum und hier ist Deutschland, dort ist die Schweiz und da liegt Österreich … oder ist jetzt hier Österreich und dort ist die Schweiz und wo ist jetzt mein Deutschland? Und zu allem Überfluss sind die Berge noch nicht einmal in der mir vertrauten Hufeisenform angeordnet. Und wo stehen meine geliebten, mir Vertrauen einflößenden Grenzpfähle? Hier gibt es nur die grüne Grenze, die ich verzweifelt suche, aber nicht sehe. Überall Schnee! Wo ist mein Lehrerpult? Hilfe?

 

Ich bin nicht an ein grenzenloses Leben gewöhnt. Ich brauche Grenzen, die ich anderen aufzeigen kann. Also fix rein ins Klassenzimmer und mich wohlfühlen. Ich hier vorne und die Masse dahinten, getrennt durch die Grenze meiner zur Schau getragenen Autorität. Da sag mir einer das Klassenzimmer sei keine „Wellness-Oase für Autoritätsfetischisten“.

Zu meinem eigenen Glück- und zu dem meiner SchülerInnen gehörte ich nie zu diesem Typ Lehrkraft und Sie sollten um diesen wirren Typ Mensch einen großen Bogen schlagen.

 

Einer meiner Kollegen verlangt in der gymnasialen Oberstufe von seinen Schülern, dass sie aufstehen und Ihn verbal exakt begrüßen, wenn er vorne am Pult steht. Meine Güte, wenn ich bei 18 bis 20-jährigen Schülern des Gymnasiums dieses morgendliche Ritual nötig hätte, und ich kann es mir nicht vorstellen, müsste ich mich als pädagogischer Praktikant titulieren lassen, also als Lehrer, und würde mich von 24 Stunden am Tag 26 schämen.

 

Ich schäme mich im Allgemeinen 0 Stunden!

 

Überlegen Sie bitte, ob Sie und ich es wirklich nötig haben, uns durch einen morgendlichen Begrüßungsappell zu beweisen, dass wir vorne stehen, dass wir der unterrichtliche Regisseur sind.

Da taucht doch in diesem Zusammenhang bei mir die Frage auf: Was wäre denn an dieser Stelle der director`s cut? Wenn wir unsere Schüler vor dem Pausenklingeln aus dem Klassenraum gehen lassen?

 

Reichen Sie unverzüglich Ihre Kündigung ein, zumindest eine langfristige Krankschreibung, wenn Sie solch seltsame Obrigkeitsgelüste, wie morgendliches Strammstehen, bei sich verspüren.

Ich lege Wert auf eine normale und damit mutuale Begrüßung, bei der meine Schüler aber sitzenbleiben dürfen. Nur Schülergegrunze lehne ich dabei ab - so wie stramme Haltung.

 

Ich muss jedoch eine Lanze für die Kollegen brechen, die in unruhigen und damit oft einhergehend schwierigen Klassen durch das oben beschriebene morgendliche Begrüßungsritual Ruhe bringen wollen. Um unruhigen, oft auch verhaltensauffälligen Schülern zu zeigen, stopp jetzt beginnt unser Unterricht, ist solch ein Ritual pädagogisch sinnvoll. Ob aber diese Schüler bereit sind aufzustehen, um Sie zu begrüßen, hängt von Ihrer von Empathie getragenen Autorität ab.

 

Zu diesem Kapitel gehört auch noch unbedingt etwas über das Thema Fehler eingestehen können und sich trotzdem als die leitende Lehrkraft verstehen und nicht vor Scham ins Paralleluniversum zu beamen. Oh la la, ein heißes Eisen!

 

Fehler passieren überall, mal sind sie gravierender mal trivialer Natur. Ich habe mich in den seltensten Fällen über einen Fehler von mir vor versammelter Klasse geärgert. Eher war es mir peinlich, wenn ich bei mir dieses unter Lehrern weit verbreitete „Zick-Zack-Weiden-Syndrom“ bemerkte. Will heißen, nach einem Ausweg labernd und sich windend suchen. Bringt nichts, lassen Sie`s stecken. Ihre Schüler empfinden Sie als viel menschlicher, wenn Sie einen Fehler zugeben und sich eventuell dabei sogar noch auf die Schippe nehmen können. Erst Ende letzten Jahres habe ich in einer Berufsschulklasse nach ca. 10 Minuten sogar meinen Unterricht abgebrochen und den Schülern mit ungefähr folgenden Worten eine 5-minütige Pause geschenkt: „ Mir gefällt meine Vorgehensweise überhaupt nicht. Ich finde keinen vernünftigen Zugang zum Thema. Sie haben jetzt 5 Minuten Zeit zum Klönen und ich hole mir einen Kaffee, dann klappt es wieder.“ Die Schüler hatten eh meine Schusseligkeit bemerkt und sich über mich gewundert, fast schon besorgt gezeigt und bewunderten meinen Mut, dass ich mich ihnen offenbarte.

 

Na und? Was heißt überhaupt Mut – einfach Mensch bleiben!

 

In diesem Zusammenhang muss ich Sie unbedingt noch vor einigen Joblehrern warnen. Nämlich vor denjenigen, die an Ihrer Schule aktives Mitglied im „pseudopädagogischen Alpenverein“ sind und ihre eigene uneinnehmbare Entschuldigungs-Eiger-Nordwand aufgebaut haben. Will sagen, die niemals einen Fehler zugeben können, erst recht nicht vor Schülern. Ich habe in meiner langen Berufstätigkeit Lehrer kennengelernt, die sich bei berechtigter Schülerkritik an ihrer zur Schau getragenen fachlichen und humanen Unfehlbarkeit gewunden haben bis die Knochen knackten und die Bänder ausleierten. Einige dieser pseudopädagogischen Bergwandfetischisten empfanden selbst berechtigte Schülerkritik an ihrem Unterricht als persönliche Beleidigung und rasteten in vielerlei Hinsicht völlig aus. Vorsicht! Diese Joblehrer können durchaus Ihre Vorgesetzten sein, da solch ein pädagogisches Fehlverhalten einem Karriereschub nicht unbedingt entgegensteht. Häufig sind sich diese KollegenInnen ihrer Defizite bewusst, wollen sie aber nicht wahrhaben und achten peinlich genau darauf, dass ihre Makel nie angesprochen werden. Vor allem nicht von ihren, „intellektuell unterlegenen“ Schülern. Bitte, stellen Sie solch einen Kollegen nur zur Rede, wenn Sie sich sicher sein können, dass er oder sie Ihnen nicht eins auswischt, also Sie fertigmachen kann, da er oder sie durch jahrelanges und intensives Schleimen den Schutz der Schulleitung genießt.

 

Nun denn, was sollten Sie diesen Lehrern raten? Ich habe solch seltsamen Zeitgenossen immer empfohlen, mit humorvoller Einsicht auf berechtigte Schülerkritik zu antworten. Damit würden sie ihr Leben und das ihrer Schüler erleichtern und der Unterricht würde spürbar entkrampft.

 

Und … keine Bange - trotz mancher Schusseligkeit bleiben wir doch die Lehrkraft.

 

Charakterliche Größe zeigen bringt`s – Starrsinn und Wahnsinn schaden!

 

 

Ich sehe die Szene direkt vor mir, wie Sie kopfschüttelnd auf diese Seite starren. Mein Tipp: Lassen Sie uns kurz in den Garten gehen um frische Luft zu schnappen. Bis gleich …

 

Zurück? Okay, dann halten Sie an sich und blättern bitte noch nicht um. Bevor Sie das nächste Kapitel lesen, müssen wir uns noch über eines klar werden, wer ist denn der Haupt- und wer der Nebendarsteller in unserem Unterricht?

Wir natürlich, denn unsere Gage ist um ein vielfaches höher als deren Taschengeld, Schüler-Bafög oder Ausbildungsvergütung.

 

Na, na, wo bleibt die Erdung! Jetzt tun Sie mir bitte den Gefallen und spielen Sie bei meinem profanen Rechenbeispiel mit:

 

1 + 1 = 2. Kann ich so stehen lassen, oder?

 

Bloß welche 1 ist wichtiger für das angestrebte Ergebnis, die erste oder die zweite?

 

Na?

Welche 1 wären Sie und ich denn gerne, die erste oder die zweite?

 

Und bei welcher würden wir uns wichtiger und damit der anderen überlegen fühlen?

 

Na?

 

Ich gebe gerne zu, dass ich jetzt leicht und locker verwirrt bin.

 

Und Sie?

 

Die Altersschere

 

Jetzt, eventuell als pädagogischer Frischling, sind Sie nur ein paar Jahre älter als Ihre SchülerInnen. Was für Sie zu einem Problem werden kann, wenn Sie sich nicht als die Lehrkraft verstehen, besser respektieren, die Regie führt. Begehen Sie nicht den Fehler vieler Berufsanfänger und stellen sich für alle sichtbar mit Ihren SchülerInnen auf eine Stufe.

 

Sichtbar und hörbar, in Ihrer Verhaltens- und Ausdrucksweise und vor allem in Ihrer Kleidung. Damit meine ich nicht, dass Sie liebe Leserinnen im Kostüm und die Herren im Anzug inclusive Krawatte auflaufen müssen. Gott bewahre, Sie gehen in den Unterricht und nicht zu Ihrer Konfirmation in die Kirche.

 

Aber stellen Sie sich mal folgendes Bild vor: einige Jungs in Ihrer Klasse tragen diese abscheulichen Heiminsassenhosen. Sie kennen diese von den dickbäuchigen Opis, die morgens beim Bäcker anstehen. Und jetzt Sie in der gleichen textilen Abschreckung. Geht`s noch peinlicher? Ich denke nicht.

Modische, niveauvolle Freizeitkleidung ist völlig okay für Sie. Gleiches gilt für das Schuhwerk.

Tragen Sie bloß keine Gesundbeterlatschen oder völlig desolate Sneaker. Sneaker klar, warum nicht, aber bitte nicht aus dem Altkleidercontainer.

 

So, und nun werden Sie älter und älter. Sie sind mittlerweile verheiratet. Wenn ich an das Wohl Ihrer Kinder denke haben Sie hoffentlich als Ehepartner keine Lehrkraft gewählt, denn nicht vergessen: Lehrers Kinder – Pastors Vieh – gedeihen selten oder nie. Bitte entschuldigen Sie meine Entgleisung.

 

Tja, aber wer ist in der ganzen Zeit nicht älter geworden? Aha, Ihre SchülerInnen. Und das ist ganz alleine Ihre Sache! Dafür können die Banausen nichts. Dieses Mal sind die wirklich unschuldig. Und auf diese, sich permanent ausweitende, Altersschere werden Sie weder von der Uni noch vom Studienseminar vorbereitet. Damit lässt man Sie, besser uns, alleine!

 

Jetzt sind Sie gefordert. Sie sind doch inzwischen zum Pädagogen oder zur Pädagogin gereift und müssten somit diese Herausforderung meistern können. Denkste, toll wenn Sie es können, aber ich kenne so einige Lehrer, aber auch Pädagogen, die damit überhaupt nicht klarkommen.

 

Der eine, nur Lehrer, ist musikalisch bei Reinhard Mey stehen geblieben, der andere, eher Pädagoge, dachte bei der Filmtriologie „Back to the Future“ an Erich von Däniken. Da stellen sich mir meine nicht vorhandenen Nackenhaare auf. Was verstehen denn diese Gegenwartsunterdrücker unter dem musikalischen Begriff des Crossover? Einen Alternativbegriff für Zebrastreifen?

Zum Verständnis für die jüngeren LeserInnen: Reinhard Mey war in meiner Jugend ein erfolgreicher Klampfenhansel und Erich von Däniken sah vor einigen Jahrzehnten Beweise für außerirdischen Besuch auf unserer Erde und beglückte die Menschheit mit seinen extraterrestrischen Büchern.

 

Hey, wenn Sie wirklich gut sein wollen, müssen Sie in der Gegenwart leben.

 

Tja … und die ist jeden Tag neu - Sie älter.

 

Keine Bange, Ihre Schüler erwarten eine gewisse Alterstrotteligkeit von Ihnen, also enttäuschen Sie sie nicht. Und das werden Sie auch nicht, aber bleiben Sie bloß kulturell auf dem Laufenden. Ich weiß, dass das Mühe und Zeit kostet, aber es lohnt sich in der Form des Respekts, den Ihnen Ihre Schüler zollen, wenn die merken: Mensch, der Alte oder die Alte ist doch noch ganz schön peppig.

 

Das heißt jetzt aber auf keinen Fall, dass Sie mit Ihren SchülerInnen in Bezug auf Mode, Musik, Vokabular, etc. in einen Konkurrenzkampf treten sollen. Damit würden Sie sich bei Ihren SchülerInnen und KollegenInnen nicht nur hochgradig lächerlich machen, sondern auch unbeliebt. Unsere SchülerInnen wollen und müssen sich von uns Pädagogen abgrenzen können.

 

Nichts desto trotz haben meine Frau und ich ein Linkin Park Konzert besucht, einige meiner jungen SchülerInnen auch. Linkin Park kann ich ab einer bestimmten Altersgruppe nur empfehlen, denn wenn die Bässe brummen rieselt der Kalk aus Ihren Ohren, eventuelle Nieren- oder Gallensteine springen aus Ihrem After und Sie spüren ein altbekanntes Vibrieren in Ihrer Hose. Hat was, in dem Alter.

 

Was will ich damit sagen? Nicht nur, um in Ihrem Beruf bestehen zu können, nicht nur, um Ihre Schüler, vor allem Ihre eigenen Kinder, verstehen zu können, sondern für Ihren eigenen kulturellen und intellektuellen Horizont: Entwickeln Sie sich bloß weiter! Leben Sie in der Gegenwart! Ich kann für mich sagen, dass es mir Spaß und Freude bereitet gegenwartsorientiert zu leben.

 

Sie wissen doch es gilt Barrieren abzubauen – und da sind Einstellungsbarrieren als Integrationsbremse als erstes dran.

 

 

„Als ich dieses Kapitel schrieb lebte Chester Bennington noch. RIP Chester.“